Zwischen den Zweigen hoher Nadelbäume funkeln Lichterketten in Blau, Rot, Gelb und Grün. Von Ferne dringt das Rauschen der Autobahn herüber, ganz nah wummert der Bass. Am Rande von Köln hat sich eine Gruppe junger Leute auf einer kleinen Lichtung versammelt. Die Tanzenden recken die Hände in die Höhe. Sie stampfen mit den Füßen auf den Boden, bewegen sich schneller und schneller zu den lauten Klängen von Gitarre und Schlagzeug – bis die Musik plötzlich abbricht.Die Feiernden schauen sich verwirrt an. Da ruft jemand durchs Mikrofon: „Die Ordnungshüter sind da.“ Eine Gruppe breitschultriger Männer drängt sich neben die kleine Bühne am Rande der Lichtung, auf ihren dunklen Jacken steht in fetten Lettern: POLIZEI.
Die Beamten wissen, die Veranstaltung ist nicht genehmigt – für viele Gäste macht genau das den besonderen Reiz aus. Sie haben keine Lust auf den gewöhnlichen Kölner Ringe-Schuppen, wollen unter sich sein und wenn möglich fürs Feiern wenig Geld ausgeben. Doch wenn sich vor allem im Sommer junge Leute über soziale Netzwerke zu spontanen Freiluft-Partys an geheimen Orten verabreden, kommt irgendwann die Polizei oder das Ordnungsamt – und löst die Versammlungen im Extremfall sogar auf. Oft weil sich aus dem Schlaf gerissene Anwohner über die Störenfriede beklagen oder sich Hundebesitzer beim nächtlichen Gassi gehen beeinträchtigt fühlen.
„Unangemeldete Freiluft-Partys beschäftigen uns zunehmend“, bestätigt Heribert Büth vom Ordnungsamt. Den Sommer über würde die Behörde rund 30 unangemeldete Freiluft-Partys beobachten. Büth betont: „Grünflächen dienen vor allem der Erholung“.Aber was genau ist unter Erholung zu verstehen – Partys oder Picknicks? Wo hört entspanntes Rumstehen auf der Wiese auf – und wo fängt eine Fete an? Wie lange ist Musik tolerierbar – und ab welcher Lautstärke stört sie wirklich? All das ist Ansichtssache.
Rainer Theis etwa erholt sich vor allem, wenn sich sein Hund erholen kann. Der Tierliebhaber hat schon mehrere Veranstaltungen am Herkulesberg dem Ordnungsamt gemeldet und macht seinem Ärger auch gern öffentlich auf Facebook Luft. „Ich kann meinen Hund dort nicht frei laufen lassen, ohne dass er in Glasscherben tritt“, klagt er. Theis ist sauer: Er fordert, dass die Ordnungshüter häufiger im Park Streife gehen und die Veranstalter härter bestrafen.
Dabei greift das Ordnungsamt bereits durch: „Nicht-genehmigte Veranstaltungen werden in der Regel aufgelöst“, versichert Heribert Büth. Um Partys zu beenden, würden auch Musikanlagen konfisziert. Jeder habe zwar das Recht sich zu versammeln. Offenes Feuer, Generatoren und Fahrzeuge seien in Grünflächen jedoch verboten. Bei einer privaten Veranstaltung könne das Ordnungsamt eventuell auch mal ein Auge zudrücken, sagt Büth, „handelt es sich aber um eine gewerbliche Feier, ist ein ganz anderes Einschreiten geboten.“ Dann müsse ein Bußgeldverfahren eingeleitet werden und der Veranstalter mit mehreren Hundert Euro Strafe rechnen.
So weit ist es für Tobias noch nie gekommen. Er organisiert seit fünf Jahren Freiluft-Partys in Köln und will seinen vollen Namen lieber nicht in diesem Text lesen – aus Angst vor Ärger. Dabei musste er bisher nie mehr als 35 Euro Verwarnungsgeld zahlen. Meistens für die Nutzung eines Dieselgenerators. Seine Partys lassen sich auch nicht als gewerblich bezeichnen. Zwar bieten er und seine Mitstreiter Würstchen und Bier zum Verkauf an, mehr als ein kleines Taschengeld springe dabei aber nicht heraus.
Zur Fußballweltmeisterschaft 2014 hat der studierte Sozialwissenschaftler ein Public-Viewing mit anschließenden Techno-Partys auf einer Wiese organisiert – unangemeldet natürlich. Anfangs klappt das gut. Die Zuschauer machen es sich auf Picknickdecken gemütlich, nippen an ihrem Bier, rauchen Zigaretten und verfolgen die Spiele auf einer großen Leinwand. Andere spielen Fußball oder holen sich am Grill ein Würstchen. Auf der Leinwand misst sich gerade Nigeria mit dem Iran – als plötzlich zwei Uniformierte aus dem Gebüsch stürmen.
Die Mitarbeiter des Ordnungsamts entdecken den Generator, der den Strom für den Beamer erzeugt und machen Fotos. Sie nehmen die Personalien von Tobias auf. Sie sagen ihm: Der Generator ist verboten, das Public-Viewing muss beendet werden. Tobias will abbauen, da werden die Stadt-Mitarbeiter vom Fußballfieber angesteckt. Die Uniformierten loben, man habe ja sogar Mülltüten aufgehängt und alles sehr schön hergerichtet. „Wenn ich jetzt nicht beim Ordnungsamt arbeiten würde, hätte ich mich dazu gesetzt“, erklärt ein Mitarbeiter und gibt den Veranstaltern Tipps, damit sie beim nächsten Deutschlandspiel weiter machen können. „Schauen Sie doch mal im Internet“, rät er, „kaufen Sie sich drei Autobatterien und schließen die in einer Mörtelwanne zusammen, falls Säure ausläuft.“
So wie die meisten Veranstalter lädt Tobias seine Gäste über eine Facebook-Gruppe ein und nicht über eine öffentliche Seite. Die Partys sollen so in privater Atmosphäre bleiben und nicht außer Kontrolle geraten. Tobias‘ Facebook-Gruppe hat jedoch schon über 6000 Mitglieder und zu seinen Partys kommen bis zu 1000 Besucher. Das sei gerade noch im Rahmen, sagt er.
Das Problem an großen Facebook-Gruppen sei vielmehr, dass auch das Ordnungsamt, trotz geheimer Ankündigung, immer wieder von Partys Wind bekommt. „Natürlich bedient sich auch das Ordnungsamt in den sozialen Netzwerken“, sagt Tobias. Um Konflikten mit Anwohnern, Hundebesitzern und Ordnungsamt aus dem Weg zu gehen, ist Tobias darauf bedacht, den Veranstaltungsort sauber zu hinterlassen.
In der Halbzeitpause bittet er die Gäste, Kippen und Kronkorken aufzusammeln und die leeren Bierflaschen in Tüten zu lagern. Die meisten Besucher kommen seiner Bitte nach. „Trotzdem räumen wir nach jeder Veranstaltung bis zum Sonnenaufgang auf“, sagt Tobias und zuckt mit den Achseln. Unterstützung bekommt er am Morgen von Menschen, die Pfandflaschen einsammeln. Dann deutet nichts mehr daraufhin, dass hier vor wenigen Stunden noch ausgelassen gefeiert wurde. Nur die Gräser auf dem Boden richten sich erst langsam wieder auf.
Trotz des Engagements von Veranstaltern und Gästen: Die Kölner Politiker stehen der Freiluft-Partyszene gespalten gegenüber. „Nicht alle können oder wollen in Kneipen oder Clubs feiern“, erkennt zwar Lino Hammer, Mitglied der Grünen-Fraktion, und stellt klar: „Öffentlicher Raum ist mehr als Außengastronomie auf hübschen Plätzen verbunden mit Konsumzwang.“
Sein Kollege Niklas Kienitz, Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Stadtrat, warnt aber gleichzeitig vor den „häufig kommerziellen Interessen Einzelner“. „Grünflächen dienen der Naherholung“, sagt der Stadtrat. Er hält es aber für möglich, Freiluft-Partys in festgelegten und von Wohnvierteln entfernten Arealen zu veranstalten. Die Verwaltung könnte eine Liste möglicher Flächen im Internet veröffentlichen, schlägt Kinietz vor.
Wie das gehen könnte, macht die Stadt Halle an der Saale vor. Sie hat 2013 öffentliche Flächen für Freiluft-Partys ausgewiesen und gleichzeitig ein verkürztes Anmeldeverfahren eingeführt, das den spontanen Charakter der Feierkultur erhalten soll. An rund zehn Orten können in Halle Partys mit bis zu 500 Gästen stattfinden. Die Veranstaltungen müssen lediglich 24 Stunden vor Beginn bei der Stadtverwaltung gemeldet werden. Die Musik darf eine Lautstärke von 103 Dezibel nicht überschreiten und die Veranstalter müssen bei mehr als 500 Gästen für Sanitätsdienst und Brandschutz sorgen. Außerdem dürfen sie keine Getränke verkaufen, also keine Gewinnabsicht haben. Im ersten Jahr wurden in Halle rund 24 Freiluft-Partys über das verkürzte Anmeldeverfahren organisiert. Gleichzeitig sind die Beschwerden über Freiluft-Partys in der Saalestadt zurückgegangen.
In Köln sind derartige Reformen noch nicht in Sicht. Die SPD-Fraktion macht sich aber für einen sogenannten Nachtbürgermeister stark, wie es ihn unter anderem in Amsterdam gibt. Dieser soll als Mittler zwischen Partyszene, Verwaltung und Anwohnern agieren und zu unbürokratischen Lösungen beitragen, so die Kölner SPD.
Auf der kleinen Lichtung im Wald konnte die Party unter den bunten Lichterketten auch unangemeldet und ohne die Unterstützung eines Nachtbürgermeisters weitergehen. Die Polizei zeigte sich kooperativ: Die Beamten baten die Veranstalter, die Musik ein bisschen leiser zu machen – dann verschwanden sie wieder.