„Es gibt zu viele Tauben in Köln“, sagt Gwendolin Wonneberger. Sie kann verstehen, wenn Menschen sich durch die Vögel gestört fühlen. Aber sie mag Tauben. Deshalb hat sie einen Verein gegründet, dessen elf Mitglieder sich um die Tiere kümmern. Dasselbe tun die rund zwölf Menschen, die sich in einem weiteren Kölner Taubenschutzverein zusammengeschlossen haben: Sie befreien die Krallen von Kordeln und Haaren, kümmern sich um kranke und verletzte Vögel. Eine Sisyphusarbeit, denn unter den Lebensbedingungen in der Stadt verletzen sich täglich viele Tiere. Doch solange es Futter gibt, vermehren sich die Tauben weiter – und der Kreislauf beginnt von vorn. Doch wie ist das Problem zu bewältigen?
Um die Population einzudämmen, setzt die Stadt Köln auf ein Fütterungsverbot. Mindestens 25 Euro kostet es, beim Füttern erwischt zu werden. Damit begeht die Stadt zumindest einen fatalen Fehler nicht: Die Tauben zu töten. Schon vor über 20 Jahren hat ein Schweizer Biologe herausgefunden, dass das völlig sinnlos ist. Die Populationen, so Daniel Haag-Wackernagel, erholten sich von solchen Aktionen innerhalb weniger Jahre und schon allein wegen der Zuwanderung von Tauben aus anderen Städten sei eine Ausrottung unmöglich. Möglich sei aber eine Reduzierung des Bestandes, und zwar ausschließlich über die Reduzierung des Nahrungsangebotes. Tierschützer wie der Bundesverband der Tierversuchsgegner jedoch nennen Fütterungsverbote eine „Hetzkampagne gegen Mensch und Tier“. Auch Jürgen Nicolai, der ehemalige Direktor des Instituts für Vogelforschung, bezeichnet die Methode als „Reduzierung der Stadttauben durch langsamen Hungertod“.
Kritik aus Tierschutzkreisen kommt nicht zu Unrecht. Der Tod von Tauben ist im Konzept vorgesehen. Um zumindest den Hungertod zu vermeiden, ließ Wackernagel Tauben, die zu verhungern drohten, fangen und töten. Nach Wackernagel ein notwendiges Übel, von dem künftige Taubengenerationen profitieren würden. Denn schließlich würden die Tauben selber unter ihrer Überpopulation und den damit einhergehenden „Lebensbedingungen wie in einem Slum“ leiden.
Parallel startete er eine mediale Kampagne gegen das Taubenfüttern. Plakate mit Parolen wie „Tierschutz ist: Tauben nicht füttern!“ oder „Taubenfüttern ist Tierquälerei!“ sollten die Fütterer zur Einsicht bringen. Zudem ließ er Taubenschläge errichten, in denen die Tiere brüten können. Nachwuchs blieb trotzdem aus, weil freiwillige Helfer die Eier gegen Gipsattrappen austauschten. Zwar ist Haag-Wackernagel sicher, dass sich durch das Eierklauen die Zahl der Tauben nicht nachhaltig senken lässt, weil die Tauben schließlich auch anderswo brüten. Insgesamt aber war das Konzept erfolgreich. Nach nur 50 Monaten war die Population bereits um 50 Prozent zurückgegangen. Bei etwa 8000 Tauben blieb es dann – bis heute.
1996 brachte auch die Stadt Aachen ein Stadttaubenprojekt auf den Weg – ebenfalls mit Taubenschlägen, Eierattrappen und ehrenamtlichen Helfern. Bis dahin waren jährlich 2000 Tauben getötet worden – für 6000 Deutsche Mark und ohne Erfolg. Aber anders als in Basel gibt es in den Aachener Schlägen reichlich Futter und Tauben werden nur in medizinischen Notfällen getötet. 2007 bekam die Stadt für ihr Modell den Tierschutzpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. „Beschwerden über Tauben haben wir keine mehr“, sagt Elke Wartmann, die das Projekt von Seiten des Ordnungsamtes betreut. Damit die Tauben auch tatsächlich in die Schläge umsiedelten, hat Wartmann sie manchmal einige Tagen darin einsperren lassen. Denn: „Einen Taubenschlag zu bauen und dann zu warten, bis die Tiere kommen, das reicht nicht. Tauben sind sehr standorttreu.“ Die alten Brutstätten der Tauben ließ sie durch Netze verschließen, um eine Rückkehr oder eine neue Ansiedlung zu verhindern.
6500 Eier holen Wartmanns Helfer Jahr für Jahr aus den Taubenschlägen. Ob die Population gesunken ist, kann Wartmann nicht sagen, es ist ihr aber auch nicht wichtig. Schließlich sei nicht die Taube das Problem, sondern der Schmutz, den sie macht. Zwei Drittel der Aachener Tauben leben in den Schlägen. Dort halten sie sich etwa 80 Prozent des Tages auf – und hinterlassen dort auch den Großteil ihres Kotes. 9500 Kilogramm Kot fegen Wartmanns Helfer jährlich zusammen.
Außerdem können kranke Tiere in den Schlägen behandelt und notfalls eingeschläfert werden. Nach Verkrüppelungen an den Füssen, die in Köln jede zweite Taube hat, muss man in Aachen suchen. Ebenso nach Tieren, die ausgemergelt und fast bewegungslos auf dem Boden hocken. Ob Tauben als Träger von Krankheiten für Menschen besonders gefährlich sind, ist übrigens umstritten. Claudia Behlert, Amtstierärztin der Stadt Köln, sagt, Tauben seien da vergleichbar mit Singvögeln oder auch Haustieren. Haag-Wackernagel dagegen spricht von einer höheren Gefahr, weil die Tiere durch die Überpopulation vergleichsweise oft krank seien.
1990 hatte auch die Stadt Köln einen Anlauf zur Lösung des Taubenproblems unternommen und für 99.000 Deutsche Mark drei Taubenhäuser bauen lassen. Allerdings ist in die nie eine Taube eingezogen. „Die Häuser waren falsch konsturiert und zudem die Standorte nicht überlegt gewählt“, sagt Tierschützerin Wonneberger. Die Stadt hingegen sagt, es habe an zuverlässigen ehrenamtlichen Helfern gefehlt. Wie auch immer: 2010 wurden die inzwischen maroden Tauben-Häuser abgerissen.
Wie viele Tauben in Köln leben, kann niemand sagen. Haag-Wackernagel schätzt pauschal, dass auf 10 bis 20 Städter eine Taube kommt, womit Köln auf 50.000 bis 100.000 Exemplare käme. Wonneberger vom Stadttaubenverein dagegen schätzt etwa 20.000 Tiere. In Aachen leben 2000 der 3000 Tauben in Taubenschlägen, 50.000 Euro kostet das im Jahr für Personal und Futter. So wie die Zahl der Tauben in Köln nicht erfasst ist, sind es die durch Tauben verursachten Schäden auch nicht. Ob ein ähnlich konsequentes Stadttaubenprojekt sich für Köln wirtschaftlich lohnen würde oder nicht, ist also Spekulation. Ganz sicher aber wäre es für die Tauben der Weg aus dem Elend.