Wer zum Campingplatz Siegpark-Hennef will, der fährt durch eine Idylle. Entlang der Sieg schlängelt sich die Straße die Berge hoch und runter. Links und rechts vom Fluss weiden Kühe, die Sonne scheint, eine leichte Briese geht. Blickt man durch die Hecke der Stellplätze, sieht man Menschen auf Sonnenliegen, die hier ihre Seele baumeln lassen. Jahr für Jahr kommen viele der Camper hierher, um im Siegtalbogen ihren Urlaub zu verbringen. Und dann gibt es noch einige unter ihnen, die gekommen und geblieben sind.
Hans-Josef Rey hat im März dieses Jahres seinen Erstwohnsitz auf dem Campingplatz angemeldet. Früher hat der heute 66-Jährige mit seiner Frau in Porz-Zündorf gewohnt. In diesem Jahr haben sie das getan, was sie schon vor zehn Jahren machen wollten – sie haben ein Wohnmobil gekauft und ausgebaut, sodass sie hier leben können, für immer.
Das Ehepaar ist hierher gezogen, weil der Stellplatz günstig ist und sie das ungezwungene Leben in der freien Natur mögen. „Hier kann man auch mal mit dem Schlafanzug rumlaufen, ohne dass jemand meckert“, sagt Rey. Von dem ruhigen Leben, dem Motorrad in seinem Carport und dem Ausbau seines Wohnwagens, der so teuer wie eine Eigentumswohnung war, erzählt er gerne. Dass alle dicht an dicht wohnen, stört ihn nicht. Er mag die Gemeinschaft. Unter den Dauercampern trifft man sich auch mal gerne auf ein Bierchen. Und der Heimweg ist nicht weit. Bis zum Zaun des Nachbarn sind es vielleicht fünf Meter.
Hier im Siegtalbogen, vier Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, liegen direkt nebeneinander vier Campingplätze von unterschiedlichen Besitzern. Blickt man den Mahrberg herunter, hat man den Eindruck, als schaue man auf ein mitten in der Weidelandschaft gelegenes Dorf. Hier haben die Wege eigene Straßenschilder, dort stehen in den akurat gepflegten Hecken Briefkästen und Satellitenschlüsseln, da weht eine 1. FC Köln-Flagge im Wind. An einem Blockhäuschen hängen Schilder, auf denen „Doris und Horst“ steht, ein Bewohner hat sich unter seinen Pavillon einen riesigen Flachbildschirmfernseher gehängt. Wer bleibt, der fühlt sich hier schnell zu Hause.
Einer der Campingplatzbesitzer ist Heinz-Willi Sauer. Auf seinem Platz gibt es 80 Durchgangs- und 14 Dauercamper. Den Campingplatz hat er von seinen Eltern übernommen, mittlerweile arbeitet auch sein Sohn hier. Sauer ist so etwas wie der Platzwart, er entscheidet, wer auf seinem Campingplatz dauercampen darf. „Das Profil muss einfach passen“, erklärt er knapp. Der 63-Jährige runzelt die Stirn, zieht noch einmal an seiner Zigarette und nimmt einen Schluck Bier. „Die Persönlichkeit muss dem Betreiber gefallen und das Wohnmobil darf kein Schrott sein.“ Camping mit Stil nennt er das.
Wenn Sauer so über seinen Platz spricht, dann redet er immer wieder von Ordnung und Sauberkeit. Folgt man hier den Straßen durch die vier Campingplätze, kommt man sich vor, als würde man durch unzählige penibel gepflegte Vorgärten laufen. Bis auf das leise Rauschen eines Fernsehers ist es still. Genau das lieben auch Sauers Besucher: Auf dem Werbeflyer loben ehemalige Gäste das „geruhsame Miteinander“. An einem Wohnmobil ist ein Schild befestigt: „Wir befinden uns im Ruhestand, keine Zeit, kein Stress – Termine bitte vier Wochen im Voraus.“
Auf Sauers Platz gibt es einen großen Biergarten mit Sonnenterasse, ein Landgasthaus und Waschmaschinen – Dusche und Toilette hat jede Parzelle für sich. Dienstags und freitags kommt ein Bäcker mit seinem Wagen den Mahrberg runtergefahren und bringt den Campern Brot und Teilchen mit. Im Sommer fährt der Eiswagen vor. Wenn es kälter wird, werden wöchentlich neue Gasflaschen geliefert. Gibt es einen Notfall, kommt der Arzt vorbei. Wie letztens, da hatte einer einen Schlaganfall. Da waren sie ziemlich schnell hier. „Vor einigen Monaten gab es auch einen Todesfall“, sagt Sauer. Die meisten seiner Dauercamper, die hier ihren Lebensabend verbringen wollen, sind 50 Jahre und älter. Dann sagt Sauer nichts mehr und nimmt noch einen Schluck Bier.
Die Dauer- und sogenannten Durchgangscamper wohnen auf seinem Platz nicht separat voneinander, sondern gemischt. Man kommt gut miteinander aus. Man kennt sich halt. Das Verhältnis der Dauercamper untereinander beschreibt Sauer als super harmonisch und super locker, sagt aber auch, das man hier per Sie sei. Privatssphäre ist schwierig, gibt er offen zu. „Man bekommt hier alles mit, alles“, betont er.
Wenn es dunkel wird, ist es auf dem Campingplatz schnell stockfinster. Die Wege sind nur spärlich beleuchtet. Hier herrscht jetzt totale Stille. Wer noch außerhalb seiner vier Wände Gesellschaft sucht, der geht in das auf dem Platz gelegene Gasthaus „Zum Siegstrand“. Am Tresen trifft man sich hier auf ein Bierchen. Wenn der 1. FC Köln spielt, ist das Gasthaus rappelvoll: Die meisten Camper kommen aus Köln.
Heute spielt Borussia Dortmund gegen Bayern München. Michael Dittrich sitzt an der Bar, schlürft sein erstes Pils und verfolgt den Anpfiff. Am Wochenende ist der 59-jährige Bauunternehmer immer hier, unter der Woche fährt der Bonner zwei- bis dreimal zum Siegbogen. Seit fünf Jahren hat er hier einen Stellplatz, 320 Quadratmeter misst das Grundstück, das er sein zweites Zuhause nennt: „Hier habe ich meine engsten Freunde.“
Obwohl Dittrich Dauercamper ist, hat er noch eine Wohnung in Bonn. Als Dauercamper, erklärt er, bezeichnen sich auch Leute, die jedes Wochenende zu einem festen Stellplatz kommen, unter der Woche aber woanders wohnen. Am Mahrberg hat Dittrich seinen Zweitwohnsitz angemeldet. Ein kostspieliges Hobby. „Ich bin sehr naturverbunden. Hier an der Sieg habe ich die Wildgänse, da kann ich Kanu fahren und wandern“, erklärt er seine Entscheidung, sich mit seiner Frau hier ein zweites Leben aufzubauen. „Vermissen tue ich absolut nüscht.“
Alle zwei Monate gibt es auf dem Platz einen Tanzabend. Dann spielt eine Kapelle oder ein DJ kommt vorbei und legt auf. Aus der ganzen Region kämen die Gäste, um gemeinsam auf dem Platz zu feiern, erzählt Dittrich. Oder die Camper laden zum Straßenfest ein. Zwar haben sie alle hier dieselbe Postadresse, trotzdem haben die Wege eigene Straßennamen. Lädt eine „Straße“ ein, bringt jeder etwas mit, Kartoffelsalat, Grillgut oder Brot.
„Klar gibt es auch immer welche, die dann nicht so mithelfen, die abkassieren“, sagt Dittrich. Probleme würden dann bei einem Bier ausdiskutiert: „Nach dem ersten Kölsch ist aber alles schnell geklärt.“ Dann knobeln sie wieder gemeinsam im Landgasthaus. Schock-Aus heißt ihr Lieblingsspiel.
Etwas abseits vom Tresen sitzt das Ehepaar Poétes. Auch sie leben fest in einem Wohnwagen. „Wir sparen so eine Menge Geld“, sagt Herr Poétes, der krankheitsbedingt arbeitslos ist. Mit ihren Nachbarn kommen sie gut aus. „Zumindestens, wenn sie gut gelaunt sind“, sagt seine Frau. Seit zwei Jahren sind sie jetzt an der Sieg. Vorher wohnten sie auf einem Stellplatz in Overath. Da haben sie auch mit den anderen Dauercampern gemeinsam Silvester, Weihnachten und ihre Geburtstage gefeiert.
Auch am Mahrberg wird gefeiert, die Regeln wegen der Lautstärke seien locker. Es gäbe zwar eine Mittagspause von eins bis drei – „manche sagen aber auch von halbs eins bis halb drei“, wirft seine Frau ein. Und ansonsten gibt es noch die Nachtruhe ab 22 Uhr. Das seien alle Regeln. Aber die gebe es ja überall.
Hier im Siegtalbogen zwischen den Weiden und den Wildgänsen fühlen sich die Poétes wohl. „Du bist ständig in der Natur, das ist schön. Da geht man viel öfter zu den Nachbarn oder mal spazieren, als wenn man in seiner Wohnung hockt“, sagt die 51-Jährige. Und ja klar, der Zusammenhalt, der sei gut, sagt der 54-Jährige. Es fehle ihnen an nichts. Seine Frau nickt. Dann sagt sie: „Doch. Manchmal vermisse ich eine Badewanne.“
Im Behördendeutsch sind Menschen, die ihren Erstwohnsitz auf einem Campingplatz angemeldet haben, Dauerwohner. Das ist rechtlich verboten. Campingplätze sind ausgewiesene Sondergebiete, die der Freizeit und Erholung dienen sollen. Wer fest in seinem Carvan wohnt, verstößt gegen Baurecht.
Doch wer bisher seinen Erstwohnsitz auf dem Campingplatz anmeldete, hatte noch nichts zu befürchten. Einwohnermeldeamt und Baubehörde arbeiteten unabhängig voneinander, Informationen wurden nicht ausgetauscht – das hat sich geändert. Heute registrieren Kommunen verstärkt Dauerwohner. Von Seiten des Bauministeriums heißt es: „Die Wahrscheinlichkeit aufzufallen, ist so hoch wie noch nie.“
Die genauen Regelungen überlässt das Land aber den Behörden vor Ort. So versuchen einige Kommunen beispielsweise mit Stichtagsregelungen Kompromisslösungen anzubieten.