In der Kölner Marienstraße tobt ein kleiner Krieg. Auf vier Quadratmetern am Straßenrand. Irgendwer hat hier zwei Blumenkästen aufgestellt – das ist verboten. Sie sollen verhindern, dass Autos auf dem Gehweg parken – denn auch das ist verboten. Fürs erste haben sich die Pflanzen durchgesetzt. Aber wer weiß, wann ein wütender Autofahrer sie zur Seite schiebt.
Wie in der Marienstraße in Ehrenfeld wird in der ganzen Stadt um den öffentlichen Raum gekämpft: Mütter mit Kinderwagen regen sich über parkende Autos auf, Autofahrer über Fahrradfahrer, Anwohner über Nachtschwärmer, Nachbarn über andere Nachbarn, Passanten über Baustellen. Ihre Waffen: Hupen und Klingeln, Spucke und Tritte, Blumenkübel und Schilder, Polizei und Ordnungsamt, Rechtsanwälte und Richter. Die Schauplätze: Vor allem jene Flächen, auf denen sich Menschen fortbewegen.
Der Mann, der die Blumenkübel in der Marienstraße platziert hat, will unerkannt bleiben. Er hat sich geärgert über die Menschen, die ihr Auto auf dem Gehweg abstellen. Ein Verwandter von ihm sei auf einen Rollator angewiesen und könne nur selten auf dem Gehweg gehen, dieser sei dafür einfach zu schmal. Er hätte die Falschparker anschwärzen können. Stattdessen also Blumen. „Jetzt kann ich wenigstens ganz normal mit zwei Einkaufstüten auf dem Gehweg laufen“, sagt der Mann, „wenn auch nur ein kleines Stück.“
Nicht weit von den Blumenkübeln entfernt wohnt Dirk Frölich. Der EDV-Unternehmer findet die Aktion gut, auch wenn seine Kunden einen Parkplatz weniger finden können. Er wünscht sich mehr sogenannte Shared Spaces. Das Konzept der „Geteilten Räume“ setzt darauf, Straßen wieder lebenswerter zu machen: Ampeln, Schilder und Markierungen sollen verschwinden, Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sein. An die Stelle klarer Regeln tritt Rücksichtnahme: Der Krieg um den öffentlichen Raum wäre vorbei.
Wenn man mehr über Shared Spaces erfahren möchte, landet man schnell bei Roman Suthold. Er ist Leiter der Abteilung Verkehr und Umwelt des ADAC Nordrhein. Fragt man Suthold, wie sich der Verkehr im Zeitverlauf verändert hat, springt er auf und tritt an sein Regal. Er zieht seine Doktorarbeit hervor. „In den 60ern und 70ern hat man sehr autofokussiert gebaut“, sagt Suthold, „das sehen Sie heute noch in Köln.“
Suthold muss nur vor die Tür gehen, um zu zeigen, was er meint. Das ADAC-Gebäude steht an der Luxemburger Straße. Sie ist hier so breit wie eine Autobahn, der Gehweg dagegen schmal wie ein Badetuch, der Fahrradweg noch schmaler. Ganz anders als die Berrenrather Straße, die parallel verläuft: Dort gibt es breite Gehwege und Fahrspuren, Radler und Autofahrer können ohne Drängeln nebeneinander fahren.
Wenn es nach Experten wie Suthold geht, sollen Straßen zu einem gemeinsamen Raum für Fahrrad- und Autofahrer sowie Fußgänger werden. Randsteine verschwinden, alle Verkehrsteilnehmer stehen, gehen und fahren auf einer Ebene. „Wenn alles gleich aussieht und nicht klar abgegrenzt ist, wird man als Autofahrer langsamer und vorsichtiger“, ist Suthold überzeugt. „Dasselbe gilt für Radfahrer und Fußgänger.“
In den Niederlanden ist das Konzept in vielen Städten bereits Realität. In Deutschland sind Shared Spaces dagegen noch selten. „Wir haben das Konzept modifiziert“, sagt Caroline Wagner, die sich in der Kölner Stadtverwaltung um das sogenannte „Stadtraummanagement“ kümmert. In Köln genügen ein Gehweg und eine breite Fahrbahn für Fahrrad- und Autofahrer. Auch Randsteine und Verkehrsschilder bleiben stehen.
All das hat wenig zu tun mit dem, was Experten unter Shared Spaces verstehen. Für ADAC-Mann Suthold würden dazu auch mehr Quartiersgaragen gehören. In Köln-Sülz und -Ehrenfeld gibt es schon ein paar dieser Unterstände. Die Anwohner sollen dort ihr Auto abstellen, damit auf der Straße mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer ist. „Bisher tun das aber nur wenige“, hat Suthold beobachtet, „die meisten parken lieber vor der Haustür.”
Für Roman Suthold sollten Quartiersgaragen sogar mehr als nur Parkraum sein. Sie sollen „Mobilitätsknotenpunkte“ werden: mit Ladestationen für Elektroautos und Pedelecs und Car-Sharing-Stationen – ÖPNV-Anbindung inklusive. Also alle Verkehrsmittel für jeden – um überall hin zu kommen.
Wie unzufrieden manche Kölner mit dem Status Quo, sind kann Ute Symanski bestätigen. Sie ist Stadtratsmitglied für die Wählergemeinschaft „Deine Freunde“. „Eigentlich sollte der öffentliche Raum uns allen gehören“, sagt die Politikern, „aber er gehört den fahrenden und parkenden Autos.“
Mit Kampagnen wie „Ich fahre Rad“ ruft die Wählergemeinschaft dazu auf, das Auto öfter stehen zu lassen. Deine Freunde würde außerdem gerne eine Fahrspur auf großen Straßen den Radfahrern überlassen. Diese kämen dann schneller voran, was das Radfahren attraktiver machen und die Zahl der Unfälle senken würde – denn Radwege würden dann tiefer liegen als Gehwege. Zusammenstöße mit Fußgängern und Rechtsabbiegern ließen sich eher vermeiden, ist Symanski überzeugt.
Ute Symanski findet außerdem, dass Flächen wie die Venloer und Vogelsanger Straße in Ehrenfeld gut zu Shared Spaces werden können. Sie kämpft für mehr Tempo-30-Zonen und mehr Quartiersgaragen. Eigentlich träumt sie sogar von einer autofreien Stadt.
Die Rothehausstraße in Ehrenfeld ist eine jener Straßen, in der sich Shared-Space-Anhänger wie Ute Symanski und Dirk Frölich wohl fühlen würden. Hier will eine Initiative Fußgänger, Radler und Autofahrer gleichstellen. Die Anwohner haben ihre Straße umgeplant. Ihr Ziel: Weniger Parkplätze, mehr Abstellfläche für Fahrräder, ein breiterer Gehweg. Viel Umbau sei dafür nicht nötig, erzählt Unterstützer Marcel Hövelmann. Eigentlich sei es nur eine sogenannte Straßenumwidmung.
Mit diesem Vorschlag sind die Anwohner zu den Bezirksvertretern gegangen – mit Erfolg. Die Bezirksvertretung Ehrenfeld nahm den Vorschlag einstimmig an und hat nun einen Antrag an die Stadtverwaltung gestellt. Bis die entscheidet, können aber Jahre vergehen. „Wir sind jetzt die Rampensau, die voran geht“, sagt Anwohner Hövelmann, „das sollten aber noch viel mehr Menschen in viel mehr Straßen machen.“
Der öffentliche Raum ist aber nicht nur für Fußgänger, Rad- und Autofahrer vorgesehen. Wenn es nach Thomas Lorenz geht, bräuchte es viel mehr Natur. Er ist Mitglied des Bahnhofgartens Ehrenfeld. Dort baut eine Gruppe von etwa 15 Menschen gemeinsam Kräuter, Gemüse und Obst an – allerdings auf einem Privatgelände. „Das gemeinsame Pflegen von Pflanzen regt Gespräche an und hilft neue Kontakte zu knüpfen“, sagt Lorenz. „Kurzum: Es belebt den öffentlichen Raum, der oft wie ausgestorben ist.“
Zum Beispiel jene abgesperrten Flächen, in denen einzelne Bäume wachsen. In vielen Stadtteilen gestalten Anwohner diese sogenannten Baumscheiben in Eigeninitiative. Sie verwandeln sie in Tomatengärten oder Blumenwiesen. Straßenpoller werden mit aufgesteckten Blumentöpfen aufgehübscht. Laut einem Pressesprecher der Stadt Köln werde das geduldet – so lange die Funktion des Pollers nicht beeinträchtigt werde.
Tote öffentliche Plätze gibt es nach Lorenz‘ Meinung einige in Köln. „Ich finde es legitim sich solche Flächen sozusagen anzueignen“, sagt Lorenz. Man brauche nur ein paar Leute, die die Pflanzen pflegen. Und dann, sagt Lorenz, „einfach Hand drauflegen, beanspruchen, machen.“