Für die Natur müssen Tiere sterben

Quelle: flickr.com/Gingiber/CC

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…oder doch nicht? Wie viel Verantwortung trägt der Mensch für die Tiere und die Natur? Die Meinungen von Tierschützern und Vertretern der Stadt dazu gehen auseinander. Dabei sind Kaninchen und Füchse in den Parks längst heimisch, am Stadtrand tummeln sich die ersten Wildschweine.

Die Frau am anderen Ende der Leitung ist hörbar aufgeregt. Sie berichtet Stadtförster Michael Hundt, dass im Mediapark ein krankes Kaninchen liege. Hundt solle bitte vorbeikommen und das Tier von seinem Leiden befreien. Doch der Stadtförster schüttelt den Kopf. „Das ist die Aufgabe des Fuchses und nicht meine“, erklärt er ihr.

Seit 15 Jahren kümmert sich Michael Hundt als Stadtförster um Wald und Wild im linksrheinischen Köln und hat in dieser Zeit viele solcher Anrufe bekommen. All diese Anrufer hätten nicht gewusst, wie mit Wildtieren in der Stadt umzugehen sei. „Natürlich wirkt es grausam, wenn der Fuchs das hilflose Kaninchen frisst“, sagt Hundt. „Aber so ist nun mal die Natur.“

Der Mensch trägt Verantwortung für die Tiere

Tierschützer Angelo Lenz würde den Stadtförster in solchen Fällen nie anrufen, weil er dessen Position kennt. Lenz, der Vorstandsmitglied im Tierschutzteam Köln ist, wünscht sich in Köln eine vernünftige Tierrettung. Diese soll mit Tierschutzvereinen, Feuerwehr, Tierheimen und Tierärzten zusammen arbeiten. „An dieses Bündnis können sich dann Bürger wenden, die ein hilfsbedürftiges Tier finden und es nicht selbst versorgen können“, sagt Lenz. Momentan rückt die Feuerwehr nur aus, wenn Haustiere in Not geraten sind oder ein Schwan im Winter auf einem See einfriert. Dabei könne bei jeder Autofahrt ein Fuchs unter die Räder kommen oder ein Vogel gegen die Scheibe fliegen, sagt Lenz. „Wir tragen Verantwortung für die Tiere, weil wir ihren Lebensraum eingenommen haben.“ Deshalb engagiert er sich auch im Tierschutz Team Köln. Aber weil der Verein von der Stadt Köln nicht finanziell unterstützt wird, müssen sich die ehrenamtlichen Helfer notgedrungen auf das Retten und Vermitteln von Hunden und Katzen an neue Besitzer beschränken.

Wildtiere bringen Seuchen mit

Dabei solle laut Lenz wenigstens ein Zuschuss für den Tierarzt oder Tierfutter, wie ihn auch die Tierheime bekommen, machbar sein. Zumindest solle die Stadt ungenutztes Gelände für die Tierpflege zur Verfügung stellen. Wenn die Bedingungen besser seien, würden sich noch mehr freiwillige Helfer finden – davon ist Lenz überzeugt. Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Bürger sich zum Beispiel über Internetauftritte der Stadt Köln über Wildtiere informieren könnten. Viele seien unsicher, ob der Fuchs im Garten für das Haustier gefährlich ist oder eine Seuche mitbringt.

Die kommen immer auf, wenn Populationen zu groß werden. Unter Füchsen bricht dann häufig die Fuchsräude aus – infizierte Tiere kratzen sich blutig und haben später kaum noch Fell am Körper. Damit es gar nicht erst soweit kommt, greift Stadtförster Michael Hundt zum Gewehr, um Populationen einzudämmen. Krankheiten wie die Fuchsräude können sich nämlich auf den Menschen übertragen und zu Hauterkrankungen führen.

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Stadtförster Michael Hundt

Kaninchen auf dem Friedhof, Rehe an der Autobahn

Weil es im vergangenen Winter zu viele Kaninchen auf Kölner Friedhöfen gab, hat Hundt zusammen mit anderen Jägern einige von ihnen erlegt. Eigentlich sind solche Gebiete befriedet, niemand darf dort jagen. Aber die Stadt erteilt Ausnahmen. So werden am Stadtrand auch Frischlinge bejagt, weil es immer wieder zu Unfällen mit Wildschweinen kommt. „Wildbestände müssen reguliert werden“, sagt Hundt, der seit einigen Monaten auch Vorsitzender der Kölner Jägerschaft ist. Genau wie im ländlichen Raum bestimmt in der Stadt der Mensch über den Lebensraum der Wildtiere. Richtig sicher fühlen sich Tiere wie das Reh nur noch an Autobahnkreuzen. Dort darf wirklich nie gejagt werden.

Nahrung aus Mülltonnen und Futternapf

Dass die Jagd eine Expansion verhindert – daran glaubt längst nicht jeder. „Seit den 1950er-Jahren hat sich die Zahl der jährlich geschossenen Hirsche und Wildschweine in etwa vervierfacht“, sagt Holger Sticht, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Gleichzeitig seien aber die Wildschäden in der Land-und Forstwirtschaft gestiegen. „Die Bestandszahlen müssen sich also ähnlich entwickelt haben“, sagt Sticht. Die Ursache: Die Jagd verändert das natürliche Verhalten der Tiere – sie sorgen früher für Nachwuchs als Artgenossen, die in unbejagten Gebieten leben. In erster Linie reduzierten nämlich nicht Raubtiere oder eben Jäger eine Population, sondern Nahrungsmangel und fehlender Raum. Jäger könnten laut Sticht die Population der Wildtiere also gar nicht in Schach halten.

Und die fast flächendeckende Jagd im ländlichen Raum treibe Tiere in Siedlungen und Städte. Denn sie wüssten, dass sie dort nicht vom Menschen verfolgt werden. Auch Nahrungsmangel oder Überpopulationen führten zu einer Abwanderung in die Städte. „Dabei besiedeln sie eigentlich nur ehemalige Lebensräume wieder“, sagt Sticht. Gerade für Amsel, Kohlmeise und Elster sowie für Kaninchen, Fuchs, Igel und Maus ist die Stadt ein Rückzugsort geworden. In Mülltonnen oder im Futternapf auf der Terrasse finden sie Nahrung, im Gestrüpp von Parks oder an Autobahnen einen neuen Unterschlupf.

Jäger erlegen jährlich 130.000 Wildkaninchen – allein in NRW

Wie viele Wildtiere in Köln leben, ist schwer zu sagen. Denn die Populationen schwanken jährlich. Gibt es zum Beispiel mehr Füchse, dann gibt es weniger Kaninchen – und andersherum. Außerdem bewegt sich das Wild permanent von einem Jagdrevier ins nächste. So können Wildschweine in einer Nacht bis zu 30 Kilometer zurücklegen. Die Obere Jagdbehörde NRW schätzt, dass in Zukunft noch mehr Wildtiere zu Stadtbewohnern werden. Die Jagdstrecken-Statistik der Behörde lässt nur erahnen, wie viele Wildtiere um uns herum leben: Über 95.000 Rehe, knapp 130.000 Wildkaninchen und mehr als 61.000 Füchse haben Jäger im Jagdjahr 2012/2013 in Nordrhein-Westfalen erlegt.

Wer Natur will, muss Tiere sterben lassen

Ohne Jagd, glaubt Holger Sticht vom BUND, seien Wald und Stadt friedlicher und ruhiger. Bisher verfolgte Tierarten würden sich wieder natürlicher entwickeln und die Fluchtdistanz zum Menschen abbauen. „Dass die Tiere unter uns leben, bietet auch eine Chance, den Bürgern die Natur besser zu vermitteln und die Biodiversität zu fördern“, sagt Sticht. Parks sollten also mehr sich selbst überlassen werden: weniger Baumpflege, nicht mehr so oft Rasenmähen und die Wildtiere in Frieden lassen. Das bedeutet aber auch: Selbst in Notzeiten wie in einem kalten Winter dürften sie nicht mehr gefüttert werden, der Bürger müsse sie ihren natürlichen Tod sterben lassen. Fressen-und-gefressen-werden laute die Devise.

Dem stimmt auch Peter Schmidt, Tierarzt beim Veterinäramt der der Stadt Köln, zu. Er erklärt, dass es unmöglich sei, allen Wildtieren zu helfen. Das liege nicht nur an den hohen Kosten, die die Pflege jedes gebrochenen Flügels oder jeder blutigen Pfote verursachen würde. „Wenn Tiere merken, dass es ihnen schlecht geht, ziehen sie sich ins Gestrüpp zurück“, sagt Schmidt. Wer es trotzdem retten wolle, täte dem Tier damit keinen Gefallen. Meistens sei es sehr schwierig, so ein Tier nach dem menschlichen Kontakt wieder erfolgreich auszuwildern.

Mehr Füchse in der Stadt als auf dem Land

„Wenn der Mensch jedes kranke Kaninchen gesund pflegt, vermehren sich die Tiere immer weiter“, sagt Stadtförster Hundt. Der Eingriff des Menschen schade also dem Gleichgewicht der Natur. Sogenannte Futterhäuser, die von Katzenliebhabern im gesamten Stadtgebiet in Büschen und Gehölzen aufgestellt würden, hätten denselben Effekt. Obwohl sie eigentlich für Straßenkatzen gedacht seien, würden auch Füchse angelockt. „Durch die Fütterungen werden unnatürlich viele Tiere satt“, sagt der Stadtförster. Die Folgen: Manche Tiere wie etwa Vögel seien mehr Fressfeinden als normalerweise ausgesetzt. „Auch die Fuchsdichte in der Stadt ist mittlerweile größer als im ländlichen Raum“, sagt Hundt. Und hier schließt sich der Kreis wieder: Gerät die Natur aus dem Gleichgewicht, muss der Stadtförster es durch Bejagung wieder gerade rücken. Michael Hundt wünscht sich deshalb, dass die Menschen mehr Rücksicht auf den Lebensraum und die Bedürfnisse der Wildtiere nehmen. „Man sollte Natur auch Natur sein lassen“, sagt er. „Nur so kann sie auch erhalten bleiben.“


Kristina über die Recherche: “Beim Joggen durch den Park trifft man auf dutzende Kaninchen. Er ist ihr Zuhause – und Erholungsort für die Menschen. Eine Gemeinschaft bilden Mensch und Tier aber nicht in Köln. Dazu bräuchte es eine klare Linie von den Verantwortlichen für den Umgang miteinander.”

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>> Worterklärung

Der Begriff der Wildtiere umfasst alle Tiere, die nicht zahm sind. Sie leben in freier Wildbahn und werden nicht als Haustier gehalten. In Deutschland fallen darunter zum Beispiel Wildschweine, Füchse, Kaninchen, Rehe, Hirsche, Marder und Vögel.

Allerdings dürfen Wildtiere nicht mit Wild verwechselt werden. Damit sind nämlich alle jagdbaren wildlebenden Tiere gemeint. Dazu zählen unter anderem Wildschwein, Reh, Fuchs und Marder. Zum Wild zählen auch einige Arten, die ganzjährig geschont, also nicht bejagt werden dürfen. Das sind zum Beispiel Schneehase, Wildkatze, Murmeltier und Luchs.


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