Kommt mal runter, ey!

Quelle: flickr.com/Schmilblick/CC

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Für fastzwei hat Till Daldrup einen Tag lang die RTL 2-Soap „Köln 50667“ geschaut und das TV-Rheinland untersucht. Was die Serie über Köln aussagt, ob der Alex die Maike wirklich mit der Sam betrügt und wie Till bis zum Ende durchgehalten hat, lesen Sie hier.

Meine Freunde haben mich gewarnt: „Das wird hart“, haben sie gesagt. Und: „Mal sehen, wie viele Gehirnzellen du danach noch übrig hast.“ 24 Stunden fernsehen und dann auch noch diese Sendung: „Köln 50667“, das ist für meine Freunde „Asi-TV“. Das ist das, was die anderen schauen. Für RTL 2 sind es „authentische Charaktere und authentische Geschichten“. Fünf Tage die Woche schickt der Sender die Geschichten um Barbesitzer Alex und seinen Freundeskreis hinaus in die Republik und zeigt ein Bild von Köln, das für einige Fernsehzuschauer mittlerweile genauso zur Stadt gehört wie Karneval und der FC. Ich frage mich also: Bildet die Serie wirklich das Leben im Rheinland ab? Und wenn ja – wie ist der Rheinländer eigentlich?

Für mich ist es das erste Mal, dass ich die Serie schaue, kenne das alles nur vom Hörensagen. Aber ich habe mich eingearbeitet in das Serienuniversum, kenne die Figuren und ihre Hintergrundgeschichten. Und ich weiß, dass mich eine „Achterbahnfahrt“ erwartet, so steht es jedenfalls auf der Facebook-Seite der Serie. Vor meinem Marathon wollte ich noch mit der Produktionsfirma Filmpool sprechen, die aber nicht mit mir. Sei’s drum, ich bin vorbereitet: Milchbrötchen und Croissants, Kaffee und Bier, Paprika und Chips sollen mich über den Tag bringen.

Ich schalte den Fernseher ein und schreibe ins Logbuch.

10:10 Uhr. Der Anstoss.

Ich bin verwirrt. Fast idyllisch wirken die ersten fünf Minuten der ersten Staffel, aufgenommen in der Kunstbar, einem der Hauptschauplätze. Die Szene gleicht einer Kaffee-Werbung: Gemütlich sitzt die Belegschaft der „Kunstbar“ am Frühstückstisch zusammen und begrüßt Maike, die neue Freundin des Barbesitzers Alex. Man schlürft Milchshakes, reicht sich Butter und Brötchen, bis Alex eine Ansage macht: Maike soll die neue Barchefin werden. Kurzes betretenes Schweigen, peinlich berührte Blicke auf den Boden – bis die Bardame Jolene losplatzt:. „Ich bin deine beste Freundin, arbeite mir hier den Arsch ab“, schreit sie und wirft einen Milchshake um. „Ganz ehrlich, Alex, willst du mich verarschen?”

Das könnte interessant werden. Ich öffne die erste Tüte Chips. Je länger ich gucke, umso überraschter bin ich: Die Serie ist nicht so schlecht wie oft behauptet. Der Beziehungsstress ist durchaus unterhaltsam und die improvisierten Gaga-Dialoge sind teilweise sogar richtig lustig. Kostprobe gefällig?

Jan kommt mit den Einkäufen nach Hause. Diego macht Sit-Ups.
Diego: Hast du mir meine Eier mitgebracht?

Jan: Ich dachte, die hättest du in der Hand.
Diego: (beide Daumen nach oben) Cool!

13:00 Uhr. Der Wissenschaftler.

Zeit für eine kleine Schalte. Ich will wissen, was die Sendung über uns Rheinländer aussagt. Also schalte ich die Lautstärke runter und rufe bei jemandem an, der es wissen muss: Dominik Maeder ist Serienfanatiker und Forscher an der Universität Siegen. Als Medienwissenschaftler befasst er sich vor allem mit amerikanischen und britischen Serien – aber von Zeit zu Zeit eben auch mit deutschem Trash-TV.

„Das Leben, das bei ‚Köln 50667‘ dargestellt wird, ist immer in der Findung“, sagt er mir. „Die Figuren in diesem Format stehen immer unter Druck, sie leben mit Unsicherheit – ob im Job oder in den Beziehungen.“ Damit bilde die Serie einen gesamtgesellschaftlichen Trend ab, er als wissenschaftlicher Mitarbeiter kenne ja auch diese prekären Verhältnisse. Unsicher und unter Druck – kein Wunder, dass die Kölner Protagonisten immer wieder aus der Haut fahren.

Ich verabschiede mich von Maeder und ertappe mich dabei, dass ich wissen will, wie die Serie weitergeht. Ein Streit jagt den nächsten: Alex schimpft mit seiner Tochter, weil die in seiner Wohnung eine Party gefeiert hat. Diego geht auf Max los, weil der mit seiner Freundin Joleen flirtet.

17:07 Uhr. Der Einkauf.

Ich kann nicht mehr. Zeit für eine kurze Pause, nach fast sieben Stunden Dauerstreit gehe ich an die frische Luft und kaufe für das Abendessen ein. Viel Zeit habe ich nicht, um 18 Uhr startet die aktuelle Folge live auf RTL 2, da muss ich zurück sein. An der Supermarktkasse lässt ein Mann eine alte Dame vor.

Er: Ach, gehen Sie ruhig vor. Ich bin ganz entspannt.
Sie: Danke sehr.
Er: Ich lasse mich nicht stressen.
Sie: Einer der wenigen Kölner. Sieht man immer seltener.
Er: Ja, manchmal macht man sich den Stress ja selbst.

Ich muss grinsen und bezahle meine Nudeln.

18:00 Uhr. Die Community.

Auf RTL 2 läuft die aktuelle „50667“-Folge und ich klinke mich ein in die Fan-Community auf Facebook. Das Besondere an der Fanseite der Serie: Die Protagonisten posten und kommentieren auf Facebook ihre Erlebnisse in der TV-Serie, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Diego (der mit den Eiern) erklärt zum Beispiel, warum sein Freund Hassan die Lehrstelle annehmen sollte, die ihm in dieser Folge angeboten wird. 6.469 Personen gefällt das, dutzende kommentieren. Die Reaktionen reichen von „Hassan nervt und soll Ruhe geben“ über „Immerhin hat es Hasan geschafft, aus der kriminellen Szene rauszukommen. Statt dass ihr auf ihm rumhackt, solltet ihr ihn loben, ihr Hohlis!“ bis hin zu „Der Schwulettenpudel macht einen auf Sozialarbeiter“. Die Atmosphäre der Serie ist auch im Web angekommen.

19:15 Uhr. Die Freundin.

„Ich bin jetzt zwei Minuten da und bin schon genervt.“ Meine Freundin wirft sich aufs Sofa, guckt auf den Fernseher und schüttelt den Kopf. Gerade schreien sich Sam und Alex an, es geht um die beiden Bars, die sie gemeinsam aufgebaut haben. Ich erkläre ihr, dass Sam und Alex früher ein Paar waren und nun darüber streiten, wer die „Kunstbar“ und wer das „66“ weiterführen darf. Meine Freundin guckt mich verständnislos an. „Wie ist das denn rechtlich geregelt?“, fragt sie.

Die besten Sprüche aus der Serie finden Sie hier in unserer Galerie:

19:33 Uhr. Das Abendessen.

Ich fühle ich mich langsam wie in einem Horrorfilm. „Nein, tu das nicht“, will ich noch rufen und schon zeichnet sich der nächste Konflikt ab. Chantal und Anna finden beide den Nick „total süß“ und haben deswegen abgemacht, dass keiner etwas mit ihm anfängt. „Freundschaft“, sagt Anna, „ist einfach wichtiger.“

Vielleicht sind die Rheinländer auch einfach zu naiv. Ich rauche die erste Zigarette.

20:51 Uhr. Der Professor.

Maike wirft Alex vor, er habe sie mit Sam betrogen (hat er nicht) und droht damit, zurück nach Berlin zu gehen (geht sie nicht). Und so langsam frage ich mich: Warum schauen wir diese Serien eigentlich? Um einen Einblick in andere Subkulturen zu erhaschen, sagt Rainer Winter, Professor für Medien- und Kulturtheorie an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. „Reality-TV erzeugt beim Zuschauer die Illusion, dass er die Wirklichkeit sieht.“ Das Fernsehen simuliere quasi den Blick über den Gartenzaun in das Leben der Nachbarn. „Und dann ist es interessant, sich zu vergleichen mit den Lebensweisen der Mitmenschen.“ Das Leben der Anderen also. Nach über zehn Stunden habe ich trotzdem genug gesehen.

22:22 Uhr. Die Halbzeit.

SelbstporträtMein Freund Daniel fragt mich nach meinem Seelenzustand. Ich sende ein Foto von mir.

Daniel (22:22): Junge, Junge du siehst aber auch nicht gut aus.
Daniel (22:22): Und heute erst recht

Reizend. Ich öffne das erste Bier.

23:15 Uhr. Das Tief.

Anna und Chantal sind mittlerweile fünf Mal abwechselnd mit Nick ausgegangen. Jedes Mal wurde der Betrug von der anderen entdeckt, jedes Mal endete das Date in Streit und Tränen. Nick kann’s egal sein – er darf immer ran.

Ich dagegen ertrage das Geschrei nicht mehr und fühle mich ein wenig wie ein Scheidungskind. Und ich erkenne das Problem: Ständig wird in der Serie geredet, aber das wirklich Wichtige wird nicht gesagt oder geht in einer Tirade aus Beschimpfungen unter. Es könnte alles so einfach sein!

1:12 Uhr. Die Müdigkeit.

Meine Augen brennen und es fühlt sich an, als würde sich ein Bohrer in die Windungen meines Gehirns fressen. Wach bleiben. Um gegen die Müdigkeit anzukämpfen, spiele ich „Köln 50667-Bingo“ und zähle die häufigsten Redewendungen der Serie. Das Ergebnis: „Komm mal runter!“ gewinnt mit haushohem Abstand vor „Komm! Geh weg!“ und „Wir beide unterhalten uns mal!“. Was sagt das über die Rheinländer aus? Ich bin mir zu dieser Uhrzeit nicht mehr sicher.

5:05 Uhr. Der Sonnenaufgang.

Früh morgens fällt es mir plötzlich auf: Als Running-Gag spielen in jeder Folge Eier eine Rolle. Ob als Kochbuch auf dem Regal (Titel: „Eier“), Mutprobe („7 rohe Eier trinken“) oder einfach zum Frühstück („Machst du mir auch ein paar Eier, Jan?“ „Ne, ganz bestimmt nicht.“). Vielleicht verliere ich aber auch nur langsam meinen Verstand.

6:09 Uhr. Das Nickerchen.

Kurz weggenickt. Kann passieren. Viel verpasst habe ich aber anscheinend nicht, auch wenn ich nicht ganz verstehe, worum sich der Streit dieses Mal dreht. Zeit für den ersten Kaffee. Und Eier.

10:21 Uhr. Das Fazit.

Die letzte Folge der ersten Staffel läuft und ich habe es fast geschafft. Ich blicke mich in meinem Zimmer um: Vier leere Bierflaschen, zwei leere Chipstüten, zwei Paprikakerngehäuse, ein voller Aschenbecher. Mit schweren Augen frage ich mich: Was habe ich heute also über die Rheinländer gelernt? Ich hoffe, nicht allzu viel, denn wenn es in Kölner Wohnungen tatsächlich so zugehen würde wie hier, kämen die Bewohner wohl gar nicht mehr zur Ruhe. Doch wie wird der Kölner in der Serie dargestellt? Ein bisschen gestresst ist er, ständig unter Strom. Er redet viel, aber immer an seinen Mitmenschen vorbei. Und er ist zwar herzensgut, aber auf Dauer ein wenig anstrengend. Gerne würde man die Figuren aus „Köln 50667“ an das Rheinische Grundgesetz erinnern und für mehr Gelassenheit plädieren: „Et kütt wie et kütt“ und vor allem – „Et hätt noch emmer joot jejange“. Sagt zumindest immer die Frau in meiner Bäckerei. Und die besuche ich jetzt.


Till über die Recherche: “Joleens Meinung ist die Wahrheit, Hassan sollte die Lehrstelle auf jeden Fall annehmen und Alex weiß nicht, wofür man Kondome benutzt. Und eine Nacht durchzumachen, um fernzusehen, ist nur als Teenie wirklich lustig.”

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 „Das Image der Stadt Köln wird in den Schmutz gezogen“, wetterte der Vorsitzende der Kölner CDU-Stadtratsfraktion, Winrich Granitzka, als „Köln 50667“ im Januar 2013 zum ersten Mal auf RTL 2 ausgestrahlt wurde. Und die Kölner Bild-Zeitung zählte bei den Anfangsepisoden sogar mit: 110 Schimpfwörter allein in den ersten vier Folgen. Fazit damals: „Dieses Asi-TV ist eine Schande und zieht die Stadt und ihre Menschen bundesweit in den Dreck!“ Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt und aller anfänglichen Kritik zum Trotz ist der Ableger des Reality-Formats „Berlin -Tag & Nacht“ zu einem Quotenhit geworden: Rund eine Millionen Zuschauer schauen sich die Geschichten um den Kneipier Alex im Vorabendprogramm an, auf Facebook hat die Serie 1,6 Millionen Fans. Gerade bei jungen Leuten ist „Köln 50667“ erfolgreich, was nun sogar zu einer ungewöhnlichen Kooperation führt: Ab November arbeitet die Serie mit der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen und greift vier Wochen lang Probleme wie Alltagsrassismus und rechtsextreme Jugendgruppen auf.

„Köln 50667“ ist ein Scripted-Reality-Format, vermittelt also den Eindruck, echte Menschen zu beobachten, die allerdings alle von Schauspielern verkörpert werden. Um den Schein zu wahren, ist über die Darsteller nicht viel bekannt, auch im Internet treten sie vor allem unter dem Namen ihrer jeweiligen Rolle auf. Einige von ihnen traten aber schon vor der Serie in Erscheinung: Diana Schneider, die „Sam“ verkörpert, nahm zum Beispiel an der 9. Staffel von Big Brother teil, „Max“-Darsteller Steffen Donsbach war früher Redakteur bei RTL 2. Produziert wird die Sendung von der Firma Filmpool, die vor allem Formate wie „Verklag mich doch!“ und „Familien im Brennpunkt“, aber auch den Münsteraner „Tatort“ und die „Polizeiruf 110“-Folgen aus Rostock entwickelt hat. Die Postleitzahl 50667 umfasst übrigens das Gebiet rund um den Kölner Dom.


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