Für seine Gäste ist das Café Jakubowski vermutlich nur ein hübsches Bistro: Die Wände sind mit Blumen bemalt, an der Decke hängt ein Kronleuchter. Die Kellner servieren unter anderem Pasta mit Pinienkernen und Schafskäse, auf der Getränkekarte stehen Latte Macchiato und Fritz-Cola. Für den Kölner Soziologie-Professor Jürgen Friedrichs dagegen ist das Jakubowski nicht nur ein hübsches Bistro, für ihn hat es eine Bedeutung, ist ein Sinnbild für den Wandel in Köln-Mülheim. Ein Wandel, der von den linksrheinischen Veedeln wie der Südstadt und dem Agnesviertel nun in den rechtsrheinischen Arbeiterstadtteil schwappt – und ihn möglicherweise in ein Szeneviertel verwandeln wird.
Wissenschaftler haben dieser Entwicklung das komplizierte Wort „Gentrifizierung“ gegeben. In der Theorie beginnt der Prozess mit der Aufwertung eines Viertels: Niedrige Mieten ziehen Kreative und Studenten an, bald folgen neue Geschäfte. Das Veedel erlebt eine Blüte. Doch dieser Segen wird bald zum Fluch: Auch Wohlsituierte ziehen ins Viertel, die gestiegene Nachfrage führt zu anziehenden Wohnpreisen. Erst können sich die ärmeren der alteingesessenen Bewohner ihren Wohnraum nicht mehr leisten, danach kapitulieren auch die Kreativen. Übrig bleiben vor allem die Besserverdienenden. Neue Bürger, entkerntes Veedel.
Das Jakubowski ist in Mülheim mit seiner hippen Atmosphäre, seinen feineren Speisen nur ein Zeichen dieses Wandels: Auf den Industriebrachen haben sich Medienfirmen und Ateliers angesiedelt, auch zieht eine andere Klientel ins Viertel, wie Professor Friedrichs in einer Studie ermittelt hat.
So sind rund 66 Prozent der Befragten erst nach 2005 ins Veedel gekommen. Die Zugezogenen haben einen eher höheren Bildungsgrad – die Weggezogenen einen eher niedrigen. Die Vermutung des Wissenschaftlers: Ein Teil derer, die das Viertel verlassen haben, ist bereits durch gestiegene Mieten verdrängt worden. Tatsächlich sind die Wohnungspreise in Mülheim in den vergangenen fünf Jahren um bis zu 14 Prozent gestiegen, wie ein Marktbericht der Kreissparkasse Köln zeigt.
Im Widerspruch dazu stehen scheinbar die relativ hohe Arbeitslosigkeit und die leer stehenden Geschäfte auf der zentralen Buchheimer Straße, Folgen des Wegfalls der Industrie, die das Veedel früher einmal geprägt hat. Doch der Gentrifizierungsprozess hier hat erst begonnen und wird noch rund 20 Jahre anhalten, schätzt Soziologe Friedrichs.
Für die Lokalpolitik ist das eine Chance: Sie hat noch Zeit, Ideen umzusetzen, um die soziale Balance zu halten – ob fördernd oder reglementierend. Die simpelste Möglichkeit: Wohnungsbau. Zusätzliche Unterkünfte vergrößern das Angebot und können so die Preisentwicklung bremsen.
Tatsächlich können auch in dicht bebauten Vierteln wie Mülheim noch Wohnungen entstehen. Das Zauberwort lautet Baulücken, Brachen in bestehenden Vierteln also. Rechnerisch könnten hier rund 14.500 der 52.000 Unterkünfte entstehen, die Köln laut Prognose bis 2029 benötigt.
Um die Bebauung voranzutreiben, unterhält die Stadt eigens für diese Flächen das Baulückenprogramm. Doch mit rot-grüner Mehrheit hat der Rat die Mittel dafür zusammengestrichen, um Geld einzusparen. Die neue Zielvorgabe: Lediglich 1.500 Baulücken-Wohnungen bis 2029. Der Leiter des Programms, Helmut Scheve, zweifelt sogar an der Erreichbarkeit dieses abgespeckten Ziels. Denn die Stadt berate nur noch auf Anfrage, weshalb „die Resonanz stark rückläufig“ sei. Auch halte die Kommune nicht mehr nach, wie viele Lücken bebaut würden. Als einzig verbliebener Mitarbeiter schafft Scheve das nicht mehr, die anderen hatte die Stadt im Zuge der Sparmaßnahmen abgezogen.
In Mülheim können aber nicht nur Wohnungen in Baulücken entstehen: Die Industriebrachen im Süden von Mülheim sind so groß, dass Investoren hier 2.500 Wohnungen hochziehen wollen. Dort zeigt sich deutlich, wie wirksam eine Regel ist, die preiswerteren Wohnraum und ein soziales Gleichgewicht garantiert.
So dürfen die Investoren dort nicht nur Luxuswohnungen bauen; 30 Prozent der Unterkünfte müssen Sozialwohnungen sein, zu denen sie die Politik mit dem „Kooperativen Baulandmodell“ zwingt. Die Vorschrift belastet zwar die Kalkulationen der Investoren, doch ein Blick in die Statistik zeigt, wie notwendig sie ist: Fast die Hälfte aller Kölner hätte Anspruch auf eine geförderte Wohnung, aktuell gibt es aber nur rund 40.000. Doch das Baulandmodell hat eine Tücke: Die Regel zieht erst, wenn die Politik Planrecht ändert oder auf einer Fläche mehr als 25 Wohnungen entstehen. Weil das aber nicht immer der Fall ist, entstehen auch längst nicht in jeder Lücke Sozialwohnungen.
Die meisten Neubauten, vor allem hochwertige, bergen aber auch eine Gefahr für das Viertel: Sie werten das Veedel noch mehr auf – und können so weitere Investoren anlocken. In Mülheim könnte dann das passieren, was in Berlin und Hamburg bereits Alltag ist: Eigentümer wandeln Miet- zu Eigentumswohnungen um oder sanieren luxuriös, um an der Entwicklung zu verdienen – und die Preise für Wohnraum ziehen an. Die Politik kann dagegen die Milieuschutzsatzung einführen, mit der die Stadt Investoren Umbauten und Umwandlungen verbieten kann, um die Bevölkerungsstruktur zu erhalten. Im Prinzip werden die Bewohner – bildhaft gesprochen – so zu bedrohten Lebewesen erklärt und ihr Viertel zu einem Reservat, in dem Investoren nicht mehr ungehemmt nach Gewinnen jagen können.
Zurzeit prüft die Stadt auf Ratsbeschluss, welche Stadtgebiete sich für einen Milieuschutz eignen. Ob Mülheim dazu gehört, ist aber noch unklar. Dabei, sagt Professor Jürgen Friedrichs, sei es „am sinnvollsten, die Satzung jetzt einzuführen“. Je eher die Politik die Regel beschließe, desto größer sei die Wirkung – die aber nur begrenzt ist, wie das Beispiel München zeigt. Dort gelten zahlreiche Satzungen. So schreibt die Stadt in einem Fazit, dass „die Verdrängung der angestammten Bevölkerung vermindert werden kann (…), nicht aber Mieterhöhungen generell“. Das heißt: Der Milieuschutz trägt dazu bei, die Gentrifizierung zu bekämpfen, aber die Politik kann sich nicht auf ihn alleine verlassen.
Soziologe Friedrichs und die Partei „Deine Freunde“ fänden es deshalb sinnvoll, wenn die Stadt Wohnungen aufkaufen würde, um sie der Marktlogik zu entziehen. Köln sei zwar klamm, könne andererseits aber Geld mit der Vermietung von Wohnungen verdienen, argumentieren „Deine Freunde“. Tatsächlich gibt es für den Vorschlag sogar ein historisches Beispiel. So kaufte die Stadt in den 1980er Jahren im Zuge von Sanierungsarbeiten rund 60 Wohnungen in Mülheim-Nord und im Severinsviertel auf. Denn die Besitzer „waren nicht willens oder in der Lage, die Gebäude in einem angemessenen Zustand zu akzeptablen Mieten herzurichten“, wie die städtische Pressestelle mitteilte.
Klar ist aber: Die Stadt wird nicht ganze Veedel vor Investoren retten können, weil sie dafür nicht das Geld hat. Auch die anderen Ideen sind keine Patentrezepte: Entstehen mit Hilfe des Baulückenprogramms Wohnungen auf Brachen, können sie einen Stadtteil aufwerten, das Baulandmodell mit seiner 30-Prozent-Regel wirkt nur bei bestimmten Neubauten, eine Milieuschutzsatzung kann die Gentrifizierung nur verlangsamen, indem die Stadt Eigentümerrechte begrenzt, aber nicht aufhalten. Die Politik kann deswegen nicht nur einer einzigen Idee vertrauen. Sie muss jede der vier Möglichkeiten anwenden, um die Gentrifizierung bremsen zu können.